Rede des Schulleiters anlässlich des Festakts am 18.07.2024
Liebe Festgemeinde,
man kennt das ja. Man sitzt mit einer kleinen Gruppe von gleichgesinnten Menschen zusammen, beklagt den Zustand der Welt und denkt sich: „Man müsste endlich mal…“, „Was es jetzt bräuchte wäre…“, „Es wäre jetzt doch genau die richtige Zeit, einfach mal…“, einfach mal… ja was denn? z.B. einfach mal eine Schule zu gründen. Und dann passiert doch nichts, dann geht man am nächsten Tage, wenn der Vollmond, vielleicht auch der Wein oder das Bier, in seiner Wirkung nachgelassen hat, doch wieder seinem Alltag nach, der einen gefangen hält. Und bei Lichte betrachtet, kommt einem seine ersponnene Weltverbesserungsidee dann auch meist allzu gewagt oder naiv vor. So ist das in aller Regel. Aber nicht immer.
Ganz selten passiert es dann eben doch, dass aus einer fixen Weltverbesserungs-Idee einer kleinen Gruppe von Menschen tatsächlich Realität wird. Und noch seltener passiert es, dass daraus auch noch etwas Dauerhaftes, Beständiges wird, das die kühnsten Träume der idealistischen Ideengeber übertrifft – so wie im Falle unseres SGM.
Ich war natürlich nicht dabei und so weiß ich es auch nicht ganz sicher, wie sich die Idee zur Gründung einer höheren Schule in Murnau in den Köpfen einiger weniger Menschen tatsächlich verfestigt hat – damals Ende 1923 – in einer Zeit, die von großer Unsicherheit, aber auch vom Gefühl des Um- und Aufbruchs gekennzeichnet war. Tatsache ist aber, dass Ende 1923 – nur wenige Wochen nach der Festnahme eines gewissen Adolf Hitlers in Uffing, also in unmittelbarer Nähe zu dieser unserer Aula, und nur wenige Wochen vor der Inbetriebnahme des Walchenseekraftwerks, das die Elektrifizierung des Oberlandes mit sich brachte, eine Handvoll von Menschen in Murnau zusammenkam und unter diesen die Idee geboren wurde, eine private höhere Mädchenschule in Murnau zu gründen – in der Hoffnung, dass eine höhere Schule, dass Bildung ganz allgemein, einen entscheidenden Beitrag zur positiven Gestaltung einer neuen, besseren Zeit leisten kann und zugleich jedem einzelnen Schüler ermöglicht, das Beste aus seinen Anlagen zu machen. Ausgerechnet eine evangelische höhere Mädchenschule hatten sich unsere Schulgründer ersponnen – im damals sehr ländlich und sehr katholisch geprägten Murnau. Es gab schon weniger gewagte Unternehmungen und Ideen, die grandios gescheitert sind.
Aber das hat die Gründer unserer Schule ganz offensichtlich nicht beeindruckt: Schon im Januar 1924 wurde der evangelische Schulverein Murnau gegründet und bereits am 05. Mai 1924 konnte der Unterricht an der neuen „Privaten Höheren Mädchenschule des Schulvereins Murnau“ aufgenommen werden: zunächst nur mit 9 Schülerinnen, aber das war dennoch die Geburtsstunde, der Geburtstag unseres Staffelsee-Gymnasiums!
Anders als viele andere, v.a. jüngere Schulen, entstand das Staffelsee-Gymnasium Murnau also nicht auf Grundlage einer staatlichen Bedarfsanalyse und wurde nicht staatlich geplant und planmäßig innerhalb eines festgefügten Systems mit festgelegten Stundentafeln und Lehrplänen realisiert. Vielmehr wurde unsere Schule aufgrund des Idealismus einiger weniger Menschen gegründet. Wir tun gut daran, uns von diesem Idealismus, der am Anfang unserer Schulgeschichte stand, inspirieren zu lassen, wenn wir in den kommenden 100 Jahren das Staffelsee-Gymnasium zum Wohle unserer Schülerinnen und Schüler weiterentwickeln. Der Glaube daran, dass Bildung einen positiven Beitrag zu einer immer wieder neuen Zeit, einer lebenswerten Gesellschaft sowie zum Wohle jedes Einzelnen leisten kann ist doch nach wie vor der beste Antrieb für junge Menschen, Lehrer zu werden – oder Lehrer zu bleiben. Und Idealismus ist noch immer ein entscheidender Brennstoff gerade für Schulen, denn niemand lässt sich so leicht von unserem Idealismus anstecken wie unsere jungen Schülerinnen und Schüler.
Die Geschichte des Staffelsee-Gymnasiums Murnau zeigt aber noch etwas: Dass sich zum Idealismus auch Realismus und v.a. starke, verlässliche Partner gesellen müssen, wenn man eine Schule in eine erfolgreiche Zukunft führen will.
Denn schon bald nach der Schulgründung zeigte sich, dass Idealismus allein dann eben nicht ausreicht. Der Schulgründung folgten turbulente Jahre und Jahrzehnte, in denen die evangelische „Höhere Mädchenschule“ in Murnau finanziell immer wieder vor dem Aus stand.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten drohte der kleinen privaten Schule in Murnau zusätzliches Ungemach, betrieb der NS-Staat zu Zwecken der Gleichschaltung doch die Auflösung aller privaten Schulen. In dieser Situation sprang die Marktgemeinde Murnau der jungen Schule zur Seite und übernahm kurzerhand die Trägerschaft für diese – und damit auch eine erhebliche finanzielle Belastung. Bis zur Verstaatlichung im Jahr 1958 blieb unsere Schule eine gemeindliche Schule der Marktgemeinde.
Unsere Schule war also gar nicht immer ein normales staatliches Gymnasium. Sie war zunächst eine auf christlichen Werten basierte Privatschule mit allerlei Freiheiten und insbesondere getragen von der Elternschaft; dann war sie gemeindliche Schule, getragen von der Marktgemeinde Murnau und erst 1958 wurde sie eine staatliche Schule– und das war dann auch gut so!
Denn nachdem die Schule von 1924 bis 1958 finanziell auf sehr wackeligen Füßen stand, fünf verschiedene Namen trug und in vier verschiedenen Schulgebäuden untergebracht war, erwies sich die Verstaatlichung im Jahr 1958 als die entscheidende Zäsur in unserer Schulgeschichte. Die Verstaatlichung legte den Grundstein für eine prosperierende Zukunft und ermöglichte den angestrebten Ausbau der „Oberrealschule Murnau“, wie sie mittlerweile hieß, zu einem Gymnasium.
Während die ersten 34 Jahre unserer Schule, quasi die Kinder- und Jugendjahre, also sehr turbulent waren, folgten nach der Verstaatlichung 1958 Stabilität und sichere Verhältnisse, aber auch dynamische Aufbau- und Ausbaujahre hin zu einer etablierten, anerkannten, immer weiter ausdifferenzierten Bildungseinrichtung, die für die Marktgemeinde Murnau und die Bildungsregion Garmisch-Partenkirchen bis heute eine zentrale Rolle spielt. Ein paar Meilensteine der Schulentwicklung nach der Verstaatlichung seien hier stellvertretend für noch viel mehr Weiterentwicklungen genannt:
1967 wurde der Neubau an der Sollerstraße bezogen, also das Gebäude, in dem nun die Mittelschule untergebracht ist. In den darauffolgenden 10 Jahren vervierfachten sich die Schülerzahlen auf dann 800 – auf fast die Schülerzahl, die wir heute haben. 1970 wurde dem mathematisch-naturwissenschaftlicher Zweig ein sprachlicher Zweig angegliedert. 1997 ging das SGM mit insgesamt 13 PCs erstmals „online“, 2001 erfolgte der Umzug in unser heutiges helles und freundliches Schulgebäude, 2006/07 wurde dieses komplettiert durch den Anbau und die Inbetriebnahme der Mensa, 2009/10 wurde sowohl das Angebot einer Offenen Ganztagsschule als auch eine sog. „Einführungsklasse“ für Schüler mit einem sehr guten Mittleren Schulabschluss eingeführt und damit eine bessere Durchlässigkeit des bayerischen Schulsystems realisiert. Nebenbei wurde die pädagogisch-psychologische Arbeit der Schule durch Schulpsychologen/-innen und Sozialpädagogen/-innen entscheidend gestärkt. Seit 2015 können unsere Schüler/-innen Italienisch als spät beginnende Fremdsprache lernen und spätestens seit den pandemiebedingten Schulschließungen in den Schuljahren 19/20 und 20/21 erfolgte eine dynamische Entwicklung der Digitalisierung der Schule, die freilich noch lange nicht abgeschlossen ist. Derzeit entscheidet die Schule über die mögliche Einführung einer 1:1-Ausstattung mit digitalen Endgeräten für Schülerinnen und Schüler, plant die Einführung einer Erweiterten Schulleitung sowie die Angliederung eines rein neusprachlichen Zweiges und forciert einen Erweiterungsbau, der für die Beschulung der 13. Jgst. im Zuge des Aufwuchses des G9 notwendig sein wird. Auch hierfür brauchen wir einmal mehr unsere verlässlichen und finanzstarken Partner, die wir durch die Verstaatlichung gefunden haben – den Freistaat Bayern einerseits und den Landkreis als Sachaufwandsträger andererseits.
Trotz seiner 100 Jahre entwickelt sich das Staffelsee-Gymnasium Murnau also immer weiter. Und trotz seiner 100 Jahre ist unsere Schule nach wie vor überaus lebendig, jugendlich, bunt und vital – nicht zuletzt dank seiner stetigen Verjüngung durch neue junge Schülerinnen und Schüler sowie junge Lehrkräfte, die Jahr für Jahr immer wieder neue Ideen, Talente, Begeisterungsfähigkeit und Tatkraft an unsere Schule bringen und dafür sorgen, dass sich unsere Schule fortlaufend erneuert!
Wir haben allen Grund, den Gründern unserer Schule für Ihren Idealismus sowie ihre Beharrlichkeit und all ihren Unterstützern, ehemaligen Schüler/-innen, Lehrkräften, Schulleitern, Sachaufwandsträgern und Aufsichtsbehörden der zurückliegenden 100 Jahren zu danken! Sie alle haben unsere Schule GemeinsamgeMacht und das Staffelsee-Gymnasium Murnau zu dem werden lassen, was es heute ist. Aus dieser Dankbarkeit ergibt sich aber auch eine Verpflichtung, die Zukunft unserer Schule weiterhin positiv zu gestalten. Aber wie?
Dabei hilft uns der Blick auf die durchaus sehr besondere Geschichte unserer Schule. Was lehrt uns diese? Und welches Bild schwebt uns für die Weiterentwicklung unserer Schule vor, wenn wir nicht zurück, sondern nun nach vorne blicken? 100 Jahre voraus?
Im großen Feld der Schulentwicklung tummeln sich zahllose gut klingende, wertvolle Ideen und Projekte: die Stärkung des fächerübergreifenden Unterrichts, eine im Alltag sehr viel stärker gelebte Feedback-Kultur einschließlich kollegialer Unterrichtshospitationen, die Förderung der schriftlichen Ausdrucksfähigkeit auch und gerade in Zeiten von ChatGPT, die Stärkung der politischen Bildung – und auch die Digitalisierung bietet noch viel positives Entwicklungspotential und erfordert zugleich mehr medienpädagogische Präventionsarbeit. Wer mich kennt, weiß, dass mir all die genannten Schulentwicklungsprojekte besonders am Herzen liegen. All das ist wünschenswert und auch notwendig für eine weiterhin positive Entwicklung unserer Schule. Aber noch sehr viel mehr erscheint ja fortlaufend ganz besonders dringlich, zeitgemäß, modern, notwendig. Und wahr ist auch: Zu viel des Guten ist nicht mehr gut. Auch für das Gute gilt: Die Dosis macht das Gift. Oder weniger dramatisch ausgedrückt: Ich glaube wir müssen aufpassen, dass wir vor lauter neuen schön klingenden Ideen und Anforderungen, dass wir bei aller Fortentwicklung nicht das aus dem Blick verlieren, was in unserer Schulgeschichte prägend und der entscheidende Gelingensfaktor war: Idealismus und Gemeinsinn.
Gerade wegen der sich stetig schnell ändernden Bedürfnisse und Anforderungen gilt es auch in den kommenden 100 Jahren vor allen anderen Dingen den Gemeinsinn und den Idealismusan unserer Schule zu bewahren und zu fördern: das Gefühl für die gemeinsame Verantwortung für unsere Schule, die Identifikation mit unserer Schule, die Bewahrung einer unverkrampften, positiven Grundstimmung, den Wohlfühlfaktor, die individuelle Freiheit auch in einem festgefügten staatlichen System und als Folge all dessen: ganz einfach die Lust auf Schule – auf Seiten der Lehrkräfte ebenso wie auf Seiten der Schülerschaft. Eine Schule, in der die Lust auf Schule lebendig ist, könnte wohl auf viele andere Dinge verzichten!
Wenn es uns also gelänge, der Lust auf Schule den notwendigen Freiraum zu lassen und das SGM als „Gute Gesunde Schule“ zu erhalten, als ein Ort des menschlichen Miteinanders, an dem Gemeinschaft erlebbar wird, als Ort, zu dem man sich zugehörig und an dem man sich wohl fühlt, dann hätten wir schon sehr sehr viel erreicht! Und hierfür haben wir eigentlich sehr gute Ausgangsbedingungen.
Unser Motto „Schule Gemeinsam Machen“ ergibt sich ja nicht nur zufällig ganz wunderbar aus den Initialen unseres Schulnamens. Es ist auch ein Erbe unserer Schulgeschichte, das es zu bewahren gilt! In den Anfangsjahren unserer Schule war es besonders augenfällig, dass der Gemeinsinn einer kleinen verschworenen, idealistischen Gemeinschaft der entscheidende Gelingensfaktor war, um eine neue Schule zu gründen, ihr Leben einzuhauchen und auch in widrigen Zeiten am Leben zu erhalten. Anders als an vielen anderen staatlichen Schulen hatten sowohl die Eltern, als auch die Gemeinde vor Ort lange Jahre entscheidenden Anteil daran, dass sich die „Höhere Schule“ in Murnau bewährte, überlebte und positiv entwickelte. In einer großen, staatlichen Schule mag es schwerer sein, den Gemeinsinn, den Idealismus und das Miteinander als prägendes Charakteristikum aufrecht zu erhalten. Und trotzdem tun wir gut daran, genau dies weiter zu pflegen.
Auch wir merken ja, dass wir in einer zunehmend partikularisierten, ja auch zunehmend gespaltenen Gesellschaft leben, in der der Tonfall mitunter rauer und das Empörungspotential auf allen Seiten größer geworden ist – auch hier in Murnau. Gerade deshalb gilt es, das Gemeinschaftsgefühl an unserer Schule weiterhin zu fördern und der Partikularisierung, dem Trennenden, ein ausgeprägtes Zusammengehörigkeitsgefühl und viele fröhlich-freudvolle Gemeinschaftserlebnisse entgegen zu stellen – so wie heute!
Denn Schule ist ein Mannschaftsspiel, das nur dann erfolgreich gestaltet werden kann und Spaß macht, wenn wir es miteinander, nicht gegeneinander spielen, wenn alle konstruktiv und vertrauensvoll, wohlwollend und respektvoll, engagiert und verlässlich zusammenarbeiten. Bei weit über 1000 „Mitspielern“ – Schüler/-innen, Lehrkräften, Eltern, Schulleitung, Schulverwaltung, Sachaufwandsträger und sonstigen externen Partnern – kann dies nicht immer gelingen, wir sind ja Menschen! Und es darf und es muss ja auch mal knirschen. Und das tut es auch – so viel Ehrlichkeit muss auch heute sein! Ich bin aber dankbar dafür, dass der Gemeinsinn und der Idealismus an unserer Schule noch immer so deutlich spürbar ist. Jedenfalls würde wohl kaum eine unserer Lehrkräfte das SGM als seine Dienststelle bezeichnen. Es ist für uns viel mehr. Herr Lang als Personalratsvorsitzender meinte in einem Gespräch diesbezüglich vor Kurzem: „Do bin i dahoam“. Möge es uns gelingen, dass dieses Gefühl bei möglichst vielen unserer Lehrkräfte und Schüler erhalten bleibt oder neu entsteht. Denn das hohe Maß an Zusammengehörigkeitsgefühl am SGM war nicht nur am Anfang unserer Schulgeschichte prägend, sondern es stellt noch immer die Grundlage für eine freudvolle und menschliche Schule dar und ist die Voraussetzung dafür, unsere „Schule – auch in den nächsten 100 Jahren – erfolgreich Gemeinsam zu Machen“!
Man mag dies als allzu rosige Formulierung empfinden und einwenden, dass es uns doch gar nicht gelingt, Schule immer gemeinsam zu machen. Das stimmt wohl. Aber ein Schulmotto ist ja auch nicht eine allseits gültige Wirklichkeitsbeschreibung, sondern auch ein Wegweiser, eine Mahnung, ein Appell! Und als solcher soll unser Schulmotto uns auch den Weg in die nächsten 100 Jahre weisen!
Da sich Bilder besonders gut im menschlichen Gedächtnis verhaften, möchte ich am Ende meiner Rede auf die Frage zurückkommen, welches Bild uns leiten soll, wenn wir über die Zukunft unserer Schule nachdenken. Genau hierzu habe ich meine Gedanken nun schon monatelang schweifen lassen. Als ich im März das wunderbare von Herrn Kohler komponierte und von Frau Wipfler inszenierte Musical „Die Gebrüder Montgolfier“ miterleben durfte, meinte ich das passende Bild zur Beschreibung unsere SGM gefunden zu haben – als nämlich der Heißluftballon der Gebrüder Montgolfier sich das erste Mal der Schwerkraft entzog und in die Lüfte schwebte – und die beiden Brüder entgegen aller Wahrscheinlichkeit und Erwartung, durch ihren Idealismus und ihre Hartnäckigkeit, ihren Traum wahr werden ließen, an den nur sie geglaubt hatten. Ein wunderbares Bild, das zur Gründung unserer Schule und ihrer Anfangszeit ganz wunderbar passt.
Und 100 Jahre später schwebt dieser Heißluftballon namens SGM noch immer…
Umso länger ich aber über dieses Bild nachdachte, desto weniger passend fand ich es zur Beschreibung unserer Schule heute. Denn ich finde gar nicht, dass wir noch immer so über den Dingen schweben. Ich empfinde unsere Schule dann doch eher als etwas, was mitten drin ist, als etwas Gewachsenes und Erdverbundenes. Und insofern würde ich unsere Schule heute doch eher mit einem Garten vergleichen wollen –

Nein, natürlich nicht so einem. Ich meinte einen naturnahen Garten, vielleicht eher so

oder vielleicht auch so:

Aber bei genauerer Betrachtung sind die Analogien zwischen einem naturnahen Garten und einer Schule, einem Gärtner und einem Schulleiter bzw. Lehrer erstaunlich zahlreich und mannigfaltig. Und das Bild zeigt, wie ich mir unsere Schule – jenseits allzu konkreter, wechselnder Schulentwicklungskonzepte – in den kommenden Jahren und Jahrzehnten ganz grundsätzlich vorstelle oder besser gesagt: idealistisch erträume:
- Ein Garten kann einerseits ein Ort des Wohlfühlens sein, in dem man sich zuhause fühlt und schöne Stunden verbringt; er kann beruhigen, ablenken und einen auffangen; er ist eine Chiffre für einfache, schöne Stunden, abseits des komplizierten Alltagslebens.

- Zugleich ist ein naturnaher Garten aber auch immer mit sehr viel Arbeit verbunden, die nie aufhört. Immer bleibt ein Garten unfertig, immer entsteht Neues, immer macht er Arbeit, immer bleibt das weitere Gedeihen ungewiss und immer kann Unvorhergesehenes passieren, z.B. eine Dürre oder ein Hagelsturm, der alles durcheinander bringt, z.B. in Form einer Pandemie.
- Als Gärtner eines schulischen Gartens kann man versuchen, die Rahmenbedingungen für seine Pflänzchen zu optimieren. Man kann bessere Erde ankarren, man kann ein neues digitales Bewässerungssystem ausprobieren oder einen KI-gestützen Rasenmäher einsetzen, man kann einiges Überdachen oder Einzäunen und so weiter: Wachsen müssen die Pflänzchen am Schluss aber dann doch immer selber. Und das tun Pflänzchen in aller Regel auch – wenn auch nicht immer so, wie man das geplant hat und nicht immer die, die man an dieser Stelle wollte.
- Als Gärtner eines naturnahen Gartens überblickt man auch mit viel Erfahrung einige, aber nie alle Gelingens- und Einflussfaktoren. Es passieren also immer auch Dinge, die man so nicht hat kommen sehen. Und deshalb brauchen wir im Garten wie in der Schule nicht zuletzt ein gutes Maß Vertrauen, dass die Dinge sich schon so entwickeln, wie sie sich entwickeln sollen. Wenn ich noch so lange in den Garten hineinschaue, die Wühlmäuse sehe ich doch nicht, die alles abfuttern, was sich unter der Oberfläche befindet – und auch den Hagelsturm kann ich durch Kontrolle nicht aufhalten.
- Trotzdem muss man den schulischen Garten natürlich immer genau beobachten und immer wieder neu entscheiden, was man einfach mal wachsen lässt, abwartend, ob daraus was wird, wann man eingreift und wie, wie viel seines eigenen Gestaltungswillens man durchzusetzen versucht und wie viel man sich einfach frei entfalten lässt.
- Wir wollen in unserem naturnahen schulischen Garten ja nicht hindrapierte, hingezüchtete, künstliche Gewächse, sondern stabile, natürlich, gesunde, sich frei entwickelnde Pflanzen, die reich Ernte tragen oder sich einfach an ihrer Blütenpracht erfreuen – auch wenn sie sich dann schon lange nicht mehr in unserem Garten befinden. Und dennoch stehen wir immer wieder vor den Fragen: Wann topft man besser um? Welche Pflänzchen muss man erst vorziehen? Wann sollte man einen neuen Standort ausprobieren, wann ist einfach ein wenig frischer Dünger (z.B. in Form von Lob) notwendig? Wie geht man mit von selbst aufgehenden Pflanzen um, die manchmal anderes zu überwuchern drohen, manchmal aber auch zu einer unerwarteten großen Bereicherung im Garten werden. So viele Fragen, auf die es immer nur situativ und individuell die richtige Antwort gibt – im Garten wie in der Schule.
- Klar ist mir nach 9 Jahren als SL und noch viel mehr Jahren als Hobbygärtner jedenfalls: So richtig und vollständig im Griff kann man weder einen naturnahen Garten noch eine lebendige Schule haben – und wenn, dann nur zum Preis, dass man vieles, das wunderbar gedeihen und blühen könnte, frühzeitig abwürgt. Und das wollen wir ja eben nicht. Wir wollen einen Garten bzw. eine Schule, in dem in den Ecken und am Rand auch mal was rumliegen darf, was wenig nützlich, vielleicht sogar störend erscheint; nicht selten passiert es nämlich, dass gerade diese Bereiche ein nützliches Biotop werden für ganz besondere Lebewesen und Pflanzen, die in den sauber angelegten Gärten keinen Platz gefunden haben.
- Und wir wollen viele kleine und große Gärtner haben, die sich selbst ausprobieren, die alle eine Ecke im Garten finden, in dem sie sich verwirklichen können.
- Ich gebe es gerne zu: Ein solch naturnaher Garten, in dem auch noch viele Gärtner gleichzeitig tätig sind, droht nicht nur gelegentlich etwas außer Kontrolle zu geraten – er macht auch sehr viel mehr Arbeit als ein sauber zugekiester Garten, in dem nur sorgsam ausgewählte, passende Pflänzchen ihren Platz finden, die vollautomatisiert sowie standardisiert gegossen und gedüngt werden.
- Trotzdem wünsche ich mir für die nächsten 100 Jahre keinen zugekiesten, adrett und sauber wirkenden Garten, sondern einen bunten, vielfältigen, artenreichen, lebendigen Garten! Einen Garten, in dem es vor lauter Leben nur so zwitschert, summt und brummt. Und genau so soll auch unsere Schule sein!
Das gibt es, wie erwähnt, nicht umsonst, ABER gerade wenn der Rücken vor lauter Gärtnern mal schmerzt, – und das tut er gerade am Schuljahresende häufig – dann sollte man eines nicht vergessen: Es gibt wenig Lohnenderes und Sinnhafteres, als für und in einem lebenswerten Garten zu arbeiten, der neben viel Arbeit immer wieder auch ein Ort ist, an dem man entspannen und sich wohl fühlen kann, in dem man mit Freunden glückliche Stunden verbringt, an dem man sich dann ganz besonders erfreut, wenn man die erhoffte Ernte einfährt oder momenthaft alles harmonisch erscheint – bevor man wieder die nächsten Schnecken, Larven oder Wühlmäuse entdeckt und sich fragt, ob man diese nun auch noch aushalten muss oder die mühsam gepäppelten Pflänzchen doch vor Ihnen beschützen darf – oder muss.
Genug nun von meinen Garten-Analogien, sie können diese gerne selber weiterspinnen, denn es gibt noch viele mehr.
Ich wünsche mir jedenfalls, dass es uns gemeinsam gelingt, unser SGM als vielfältigen, summenden und brummenden, zwar arbeitsintensiven, aber zugleich momenthaft oasenhaften Garten auch in den kommenden 100 Jahren zu erhalten.
Und ich freue mich darauf, die Zukunft unseres Gartens, die Zukunft des Staffelsee-Gymnasiums Murnau in den nächsten kommenden Jahren als Schulleiter mit Ihnen und Euch gemeinsam gestalten zu dürfen. Denn wenn sich die Arbeit in unserer Berufung als Gärtner, Schüler, Lehrer und Eltern auch immer lohnt – so richtig schön wird es erst, wenn wir unseren Garten, wenn wir unsere Schule, unsere Aufgaben gemeinsam beackern und gestalten!
In diesem Sinne wünsche unserer Schule eine glückliche Zukunft: als bunter, artenreicher, lebendiger Garten und als Schule, die – im Sinne unserer Schulgründer – weiterhin einen wertvollen positiven Beitrag zu einer immer wieder neuen Zeit, einer lebenswerten Gesellschaft und einem erfolgreichen und glücklichen Leben jedes einzelnen Schülers bzw. jeder einzelnen Schülerin leisten möge. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!